Fallstudie: Das Test and Integration Center der Deutsche Telekom MMS

Letzte Änderung: 08/2019

Am 18. April 2019 fand ein Workshop von Team Usability und der T-Systems Multimedia Solutions (T-Systems MMS) GmbH in Dresden statt (Nachtrag 06/2023: umfirmiert zur Deutsche Telekom MMS GmbH). Das Ziel für das Projekt war, sich genauer über den dort praktizierten Prüfansatz auszutauschen.

Das Team führt Barrierefreiheitstests nach einem eigenen Prüfverfahren durch, bei dem zum Teil auch Menschen mit Behinderung eingebunden sind.

Die Prüfverfahren sind problemorientiert. Das Ziel eines Tests ist nicht nur, Fehler in der Umsetzung zu identifizieren, sondern auch konkrete code-basierte Lösungsvorschläge zu machen. In der Bewertung der Mängel wird eine Abstufung in Blockade / Hürde / leichte Einschränkung genutzt. Wichtig ist die Setzung von Behebungs-Prioritäten: Was muss unbedingt getan werden, was kann vielleicht noch warten? Bei den Lösungsempfehlungen zu gefundenen Problemen wird auf eine umfassende Datenbank zurückgegriffen, die Lösungen zur Barrierefreiheitsproblemen aus über 2000 Expertentests enthält und so effiziente und umfassende Hilfestellungen für die Entwickler ermöglicht.

Ein anderer Aufgabenbereich von Deutsche Telekom MMS sind Usability-Tests mit Probanden, wobei Tests mit Probanden mit Behinderungen eher eine Ausnahme darstellen.

Einbindung von Menschen mit Behinderung in Expertentests der Barrierefreiheit

André Meixner, Leiter der Abteilung User Centered Test (Barrierefreiheit & Usability), thematisierte das Problem, dass viele der etwa 400 Anwendungen, die jährlich getestet werden, sich initial als schlecht zugänglich erweisen, vor allem was die Screenreader-Nutzbarkeit angeht. Das macht viele der Prüfkriterien für blinde Nutzer schwer testbar. Wenn Bedienelemente zum Beispiel beim Durchtabben keinen Tastatur-Fokus erhalten, werden sie von Screenreader-Nutzern gegebenenfalls übersehen.

Ein weiteres Problem ist, dass die Ergebnisse von Screenreader-Tests auch von der Expertise der Nutzer, dem verwendeten Hilfsmittel, der Version und den eingestellten Settings abhängen. Aussagen von blinden Nutzern können deshalb nicht unbesehen als gültig übernommen werden.

T-Systems setzt Testexperten mit Behinderungen ein, die das Team bei den Tests mit ihrer Expertenmeinung aus Nutzersicht unterstützen. Pro Woche erfolgen ca. 10-15 parallele Barrierefreiheitstests. Bei der Lösungssuche hilft die Expertenmeinung des Kollegen mit Behinderung, um z. B. zu entscheiden, ob Lösung A oder B aus Nutzersicht besser geeignet wäre. Wichtig dabei ist, dass es sich hier um Testexperten handelt, dass also der z.B. blinde Kollege als professioneller Tester ausgebildet ist, um meinungsgefärbte Aussagen auszuschließen.

Der Hintergrund: In der Entwicklung setzt es sich immer mehr durch, innerhalb von 14-tägigen „Sprints“ einen neuen lauffähigen Stand einer Anwendung zu erarbeiten. Mit jedem Sprint kommen neue Features hinzu. Getestet wird bei Webanwendungen ein Prototyp mit einem HTML-Gerüst, das oft noch abweicht vom endgültigen Produkt.

Menschen mit Behinderungen als Trainer

Eine weitere wichtige Rolle für Menschen mit Behinderung ist es, Entwickler für die Anforderungen der Barrierefreiheit, etwa die effiziente Nutzung mit der Tastatur und mit Hilfsmitteln, zu sensibilisieren. Experten lernen so, sich in die Lage von Menschen mit Behinderungen zu versetzen und deren Hilfsmittel, etwa einen Screenreader, selbst für die Überprüfung entwickelter Bausteine oder Features einzusetzen.

Anspruch und Wirklichkeit

Generell besteht das Problem, dass bei vielen Anwendungen vollständige Barrierefreiheit weiterhin nicht erreicht wird. Der begrenzte Kostenrahmen und der Zeitdruck sorgen dafür, dass meist nicht alle Mängel behoben werden können. Eine Zuordnung der gefundenen Probleme zu den jeweiligen Nutzergruppen und eine dreistufige Gewichtung sind dabei essentiell, damit die Entwickler priorisiert vorgehen können. Die Nutzergruppenorientierung sorgt dafür, dass in einem Arbeitsschritt alle Blockaden für eine bestimmte Nutzergruppe – etwa Tastaturnutzer – schon mal beseitigt werden können. So kann auch begrenztes Budget möglichst sinnvoll eingesetzt werden.